Restitution in Deutschland und Frankreich – Bremer und Berliner Museen unter der Lupe


Wie gehen Museen mit den Objekten um, die während kolonialer Feldzüge geraubt wurden? Und wie mit der Forderung, diese an die Herkunftsländer zurückzugeben? Mit diesem Themenkomplex hat sich ein Seminar am Institut für Romanistik befasst. Ein Interview mit Seminarleiterin Prof. Dr. Natascha Ueckmann und Studentin Lilly Fuß über forschendes Lernen, Frustration und überfällige Aufbrüche.

Seminarleiterin Natascha Ueckmann (li.) und Studentin Lilly Fuß (Foto: Maike Glöckner)

Frau Ueckmann, das Thema Ihres Seminars hätte aktueller kaum sein können: Erst Anfang Juli haben Vertreterinnen und Vertreter der nigerianischen und der deutschen Regierung eine Absichtserklärung unterzeichnet, in der geregelt ist, wie zahlreiche Bronzen des einstigen Königreichs Benin zurück in ihre Heimat gebracht werden können.


Natascha Ueckmann: Ja, das stimmt. Wobei wir uns weniger mit den Beninbronzen befasst haben. Sie wurden von den Briten während sogenannter Strafexpeditionen geraubt und anschließend an deutsche Museen verkauft. Wahrscheinlich fällt es Deutschland deshalb auch leichter, diese Kulturgüter zurückzugeben. Wie es für Kulturgüter aus ehemaligen deutschen Kolonien wie Tansania, Togo, Namibia und Kamerun aussieht, ist ein anderes Thema. Befasst haben wir uns zum Beispiel mit dem frühen Filmessay  „Les statues meurent aussi“ (1953) oder auch mit „Black Panther“ (2018), in beiden wird das Ausstellen afrikanischer Kunstwerke in europäischen Museen scharf kritisiert.

Warum haben Sie sich dafür entschieden, ein Seminar zum Thema Restitution anzubieten?
Ueckmann: Ich arbeite seit mehr als 20 Jahren zu Kolonialismus und dekolonialen Herausforderungen. Speziell die Restitution, die Rückführung von Raubkunst, ist sehr aktuell, wie man an zahlreichen Nachrichten und Artikeln sieht. Bei der Debatte geht es im Übrigen nicht nur um außereuropäische Kulturen, sondern auch um eine kritische Auseinandersetzung mit uns selbst, nämlich wie Reisen, Forschen, Erobern, Entdecken und Ausstellen mit konkreten Machtverhältnissen zusammenhängen.

Wie sah die Arbeit im Seminar aus? Was war das Ziel?
Ueckmann: Mir war es neben der Forschungslektüre wichtig, die Universität mit außeruniversitären Institutionen, zum Beispiel Museen, aber auch mit afrikanischen Wissenschaftlern wie Kokou Azamedé aus Togo zusammenzuführen, der zur Restitution von menschlichen Überresten arbeitet. Aus dem Kontakt ergeben sich viele offene Fragestellungen. Auch Gespräche mit Initiativen, die sich kritisch mit dem Berliner Humboldt-Forum auseinandersetzen, standen auf unserem Programm.

Frau Fuß, wie fanden Sie diesen Zugang?
Lilly Fuß: Für mich war es bisher nicht üblich, dass wir uns mit Themen befassen, die im öffentlichen Diskurs so präsent sind. Die Exkursionen waren eine schöne Möglichkeit, sich über die Forschungsliteratur hinaus mit dem Thema zu beschäftigen und eigene Fragestellungen zu entwickeln. Diese haben wir dann zum Beispiel mit der Aktivistengruppe BARAZINI.berlin diskutiert, die sich gegen die Arbeitsweise und Strukturen des Humboldt-Forums ausspricht. Es war sehr aufschlussreich, das Thema parallel in der Uni und außerhalb zu begleiten.

Das Berliner Humboldt-Forum steht in der Kritik – auch damit hat sich das Seminar befasst. (Foto: Achim Wagner/stock.adobe.com)

Was gibt es zu dem Thema eigentlich noch zu erforschen? Ist die Sachlage nicht klar: Gestohlene Güter müssen zurückgegeben werden?
Fuß: Als ich die Seminarbeschreibung gelesen habe, dachte ich das auch: Warum werden die Kulturgüter nicht einfach restituiert? Im Seminar haben wir dann „Restituer le patrimoine africain“ (Zurückgeben) von Felwine Sarr und Bénédicte Savoy gelesen. Emmanuel Macron hatte die beiden beauftragt, einen offiziellen Restitutionsbericht für französische, geraubte Kulturgüter zu erstellen. Bei der Lektüre gab es immer wieder Momente, in denen ich dachte: Jetzt gibt es einen Bruch, jetzt wird eine Welle losgetreten – aber Taten folgten keine. Allein davon zu lesen, war extrem frustrierend. Im Grunde drehen wir uns seit Jahrzehnten im Kreis. Auch im Humboldt-Forum gab es zum Beispiel eine Infotafel, auf der davon die Rede ist, dass Objekte der Sammlung „manchmal unrechtmäßig“ erworben wurden, was angesichts der kolonialen Machtstrukturen und des Sammlungsumfanges von circa 75.000 Kulturgütern afrikanischer Provenienz eine Untertreibung und Verzerrung darstellt.

Ueckmann: Man denkt immer, wenn es um solche Unrechtskontexte geht, dass die Dinge einfach zurückgegeben werden sollten. Aber dann wird dieses Unrecht immer wieder verschleppt, vergessen und verdrängt. Diese überfällige Debatte findet nur unter öffentlichem Druck statt.

Wie lauten denn die Argumente gegen eine Rückführung?
Ueckmann: Das ist eine ganze Reihe: Die Objekte wären hier gut aufgehoben, könnten beim Transport beschädigt werden und in den Herkunftsländern würde es keine angemessenen Ausstellungsmöglichkeiten geben. Das sind fadenscheinige Gründe, wenn man bedenkt, dass es auch bei uns nur minimale Einblicke in den gesamten Bestand gibt. Das Humboldt-Forum sagt selbst, dass es nur fünf Prozent seiner Bestände ausstellt. Savoy schreibt, dass die Kulturgüter so doppelt begraben seien im kollektiven Unbewussten, im europäischen als auch im afrikanischen.

Fuß: Außerdem sind die Kulturgüter, die bei uns präsentiert werden, überhaupt nicht kontextualisiert. Bei jedem Exponat stehen der Name des „Entdeckers“ – oder besser des Räubers – und das Fundland und die Zeit, aus der es stammt und zu der es gesammelt wurde. Wieso müssen Menschen aus dem Globalen Süden zu uns kommen, um ihre eigenen Kulturgüter anzuschauen? Und zudem noch nach dem Blick des Sammlers sortiert? Im Gespräch mit BARAZINI.berlin haben wir erfahren, dass Ausstellungen schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts so organisiert waren. Wir würden es absurd finden, Deutschland, Italien und Frankreich auf wenige Objekte reduziert in solchen Vitrinen zusammengewürfelt präsentiert zu sehen.

Sie haben im Rahmen des Seminars auch mit dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg Kontakt gehabt und das Überseemuseum in Bremen besucht. Wie sind Sie darauf gekommen?
Ueckmann: Durch die Lektüre im Seminar haben wir das Zentrum entdeckt. Es arbeitet aktiv zur Situation der Restitution von „Objekten“ aus kolonialen Entzugskontexten. Sein Fokus lag lange auf Entzug von Kulturgütern im NS-Staat und in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR. Erst seit 2018 gibt es den Bereich „Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“. Das hat uns sehr interessiert, weil das Zentrum mit der Freien Universität auch eine Weiterbildung zur postkolonialen Provenienzforschung anbietet. So verbindet sich Wissenschaft mit Berufspraxis.

Fuß: Uns hat der Praxisbezug interessiert, weil die Forschungsliteratur nur die Theorie abbildet. Das Zentrum verwaltet und fördert auch Forschungsprojekte zu dem Thema. Es war sehr spannend zu sehen, wie Forschungsprojekte und Restitutionsanfragen verhandelt werden.

Ueckmann: Wir haben auch Ideen für Forschungsprojekte entwickelt. Eine Idee zielte auf die Rolle der Frauen bei den Expeditionen als Sammlerinnen von Kulturgütern und menschlichen Überresten – welche Form von Mittäterinnenschaft gab es? Das ist bislang wenig erforscht.

Und Bremen?
Ueckmann: Hier hatte ich Kontakt zu Dr. Detlev Quintern, den ich aus meiner Zeit an der Universität Bremen kenne. Er führte zur selben Zeit ein ähnliches Seminar durch und hat früher für das Überseemuseum gearbeitet. Dessen einstiger Leiter Herbert Ganslmayr hat gemeinsam mit dem Journalisten Gert von Paczensky 1984 das Buch „Nofretete will nach Hause“ geschrieben; eine ganz frühe Studie zur Restitution in Deutschland aus Sicht eines Museums. Darin sagen sie, es gibt gute Gründe, das zu tun. Damit haben sie sich innerhalb der Community keine Freunde gemacht.

Fuß: Das Überseemuseum war früher als Bildungsraum für Schulklassen und künftige Händler gedacht. Dort haben sich angehende Kaufleute über Waren und die „Menschen vor Ort“ informiert. Deshalb wurden die Menschen auch immer neben den Handelswaren gezeigt.

Seit vielen Jahren wird darüber debattiert, was mit Raubkunst geschehen soll. Welche Rolle nehmen Museen dabei ein?
Ueckmann: Museen strahlen eine gewisse Hilflosigkeit aus. Museologischer Paternalismus, die Rolle des „guten Hüters“ hat meines Erachtens ausgedient. Kulturbesitz als Ausdruck nationaler Behauptung, wie es alle großen europäischen Museen immer noch tun, ist keine Vision für das 21. Jahrhundert. Dabei könnten Museen Orte von postkolonialer Solidarität, Wiedergutmachung und Dekolonisierung von Wissen sein.

Fuß: Eine wirklich große Lücke ist auch die Darstellung von Widerstand gegen den Kolonialismus. Afrikanische Gesellschaften werden häufig als Opfer gezeigt. Dabei gab es von Anfang an Widerstand gegen die Kolonialherren: gegen den Raub von Menschen, von Gütern und von Ressourcen. Dieser Teil der Geschichte wird oft nicht erzählt oder heruntergespielt.

Wie war der Kontakt mit den Museen?
Ueckmann: Ich hatte den Besuch unserer Gruppe beim Humboldt-Forum angekündigt und um ein anschließendes Gespräch gebeten. Ich habe niemanden gefunden, der mit uns reden wollte. Deshalb sind wir auf die Gruppe BARAZANI.berlin gekommen.

Fuß: Letztlich hat sich der Eindruck über das ganze Semester gezogen, dass das Museum eher ein toter Raum ist. Objekte stehen hinter starren Vitrinen. Sie sind konserviert und entwurzelt. Wie will man zu so einem Objekt eine Verbindung aufnehmen? Hier könnten Gespräche helfen, den Zugang niedrigschwelliger zu gestalten und Lebendigkeit hineinzubringen – Museen sollten Orte für alle sein, um Bildung zu erfahren, eben Dialogforen.

Wie könnte denn ein besserer Umgang mit der Thematik aussehen?
Fuß: Das Museum der Zukunft kann eigentlich nicht in einem Gebäude wie dem Humboldt-Forum im Berliner Schloss konzipiert werden, weil das Bauwerk an sich schon unangemessen ist. Die Art und Weise, wie Objekte ausgestellt werden, ist oft konservativ und reaktionär. Masken werden zum Beispiel in bestimmten rituellen Kontexten genutzt, durch die man sie erst verstehen kann – oft ist ihr Anblick auch bestimmten Gruppen der Gemeinschaft vorbehalten. Sie sind nicht dazu da, ausgestellt zu werden.

Ueckmann: Das Grassi in Leipzig ist gerade dabei, sich zu einem Netzwerkmuseum umzugestalten. Unter dem Titel REINVENTING GRASSI.SKD geht es um Vielstimmigkeit und aktivistische Zugänge zur Museumsgeschichte, zu Erwerbs-, Ausstellungs- und Restitutionsfragen.

Wenn die Stücke „einfach“ in ihr Heimatland überführt werden, entsteht in einem Museum ein Loch. Wie kann dieses so gefüllt werden, dass die Debatte um Raubkunst nicht abbricht?
Fuß: Eine Frage, mit der wir uns im Seminar beschäftigt haben, war: Endet Restitution damit, die Dinge zurückzugeben? Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, mehr zu tun – zum Beispiel eine vergleichbare Museumsinfrastruktur in den Ländern aufzubauen.

Ueckmann: Museen müssten generell viel belebter sein: ein Kommunikationsraum. Dort könnten die ausgestellten Instrumente gespielt werden, sie sollten Orte für Bildungsangebote, für Austausch und Begegnung sein – im Sinne einer Public History. Ich denke insgesamt, dass materielle Kultur, dekolonial ausgestellt, sehr wichtig ist, denn es ist ein riesiger Gedächtnisspeicher. Aber die Museen müssen sich einer radikalen Kritik stellen, um einen aufrichtigen Dialog auf Augenhöhe überhaupt möglich zu machen. Das stellt auch Disziplinen wie Ethnologie und Anthropologie vor große Herausforderungen. Beide sind sich ihres Erbes bewusst. Aber bei dieser Mammutaufgabe stehen wir noch ganz am Anfang, angesichts der „Sammelwut“ im europäischen Kolonialismus.